Zeit: Montag, 28.06.1992 (Ende letztes Schuljahr), morgens gegen zehn Uhr
Ort: Hogwarts, Große Wiese
Charaktere: Hazel Rewes & Dylan Rosslon
Thema: Quidditch
Dylan verzichtete nur zu gerne auf eine Stunde Zauberkunst.
Klar war das Fach irgendwo wichtig. Schließlich lernte man dort die meisten grundlegenden Zauber – aber Dylan hatte schon vor drei Jahren, genauer nach der dritten Unterrichtsstunde, die Nase gestrichen voll. All dieses Zauberstabgefuchtel, das Rufen über die Jahre hinweg sinnlos gewordener Sprüche, auf das man das Holzstück auch nur ja im korrekten Moment einen Millimeter nach links und im nächsten zwei nach rechts hob und das englisch-lateinische Wort auch bloß auf der richtigen Silbe betonte, das R nicht zu sehr rollte, sondern nur ein kleines bisschen und das S nur nicht zu scharf aussprach… Oh nein, ohne ihn.
Dylan kannte weitaus bessere Beschäftigungen für einen sonnigen Montagmorgen.
Seinen Besen in der Hand schritt über das Gras der großen Wiese, das sich an manchen Stellen schon auf eine höchst ungesund wirkende Art und Weise gelblich verfärbt hatte. Zauberei hin oder her, gegen die sommerliche Hitze kam niemand wirklich an.
Selbst jetzt, es war allerhöchstens zehn Uhr, brannte die Sonne bereits emsig vom Himmel und versuchte, Dylan Besen in Brand zu setzen. Kein leichtes Unterfangen, irgendwo wirkte Zauberei ja schließlich doch. Bei diesem Gedanken stieg Dylans Laune und er warf der Sonne ein abschätziges Grinsen zu. „Hättest du nicht gedacht, dass es so etwas wie Kältezauber gibt, was?“ Falls der dunkelgelbe Feuerball wütend mit noch mehr Hitze antwortete, bekam Dylan davon nichts mit.
Er passierte gerade den Schatten einer riesenhaften Eiche. Normalerweise war es hier zum Bersten voll mit Schülern, die entweder zu faul oder zu dämlich waren, sich mit ein bisschen Magie vor der Sonne zu schützen. Jetzt aber war keine Menschenseele weit und breit zu sehen. Allein ein Vogel raschelte in den Blättern des Baumes. Dylan wusste ohne hinzusehen, dass es sich um Lasyel handelte. Nachtaktiv hin oder her, die Schleiereule entfernte sich ungern weiter als ein paar Meter von ihm – oder von den Keksen, die er stets in einer der unzähligen Taschen seines Umhanges für sie aufbewahrte. Meistens störte Dylan das nicht, nur wenn er Briefe verschicken wollte, war es ein bisschen ärgerlich.
Aber heute musste Lasyel zum Glück nirgendwo hin – nein, Dylan wollte selbst fliegen. Eigentlich hatte er vorgehabt, zum Quidditchstadion zu gehen, aber wenn er so darüber nachdachte, konnte er genauso gut hier schon aufsteigen. Zwar war das Risiko höher, dass man ihn vom Schloss aus sah, aber es war nicht das erste Mal, dass Dylan den Himmel dem Unterricht vorzog, und die Lehrer wussten das. Die meisten hatten es schon vor langer Zeit aufgegeben, ihn zurück ins stickige Klassenzimmer zu schleifen.
Als Dylan seinen Besen losließ, glitt dieser sofort auf Hüfthöhe neben ihn, er schien fast erwartungsvoll und Dylan musste unwillkürlich lächeln. Merlin wusste, wie seine Mutter auf den Namen ‚Erdertonitrus’ gekommen war – irgendein lateinischer Mischmasch, den Dylan als Kind nie aussprechen konnte –, aber es war definitiv der beeindruckendste Besen, den er je gesehen hatte. Das Holz war dunkel wie Ebenholz, aber robuster und schmiegte sich dank einiger magischer Zusätze immer weich und leicht in seine Hand. Dylans Mutter hatte schon vor seiner Geburt begonnen, ihn zu bauen und noch heute bemerkte sie ständig etwas, das man noch verbessern konnte. Dylan fühlte sich ihm mehr verbunden als seinem Zauberstab.
Geschickt schwang er sich auf den Besen und stieß sich vom Boden ab. Die Welt unter ihm wurde binnen Sekunden winzig, Wind kitzelte Dylan am ganzen Körper und lies sein Herz schneller schlagen. Er beugte sich nach vorne und schielte nach unten. „Lust auf ein Wettfliegen, Lasyel?“ Unter ihm schrie die Schleiereule erschrocken auf und kämpfte sich flügelschlagend aus dem dichten Blattwerk des Baumes, bis sie die freie Luft erreichte und freudig auf Dylan zuschoss. Er wartete, bis sie fast bei ihm war, dann drehte er bei und jagte über die Ländereien zurück zum Schloss, zog die Eule damit auf, dass er schneller war als sie, drehte sich zu ihr und lachte und konnte den Besen dann gerade noch rechtzeitig hochreißen, um einem der unzähligen Türme Hogwarts’ auszuweichen.
Er umrundete das Schloss einmal komplett, flog im Zickzack an Türmen vorbei, tauchte unter einer Brücke hindurch und kam schließlich etwas außer Atmen, aber immerhin vor Lasyel, wieder am Baum auf der Wiese an. Die Landung wurde ein kleinwenig holprig, so übermütig war er in den Sturzflug gegangen, doch der Besen fing das Meiste ab. Grinsend wandte er sich zu Lasyel um und warf ihr einen Keks zu. „Irgendwann schaffst du’s, ganz sicher.“ Die Schadenfreude war nicht zu überhören. Die Eule schnappte den Keks beleidigt aus der Luft und lies sich auf einem Ast nieder.
Immer noch lächelnd packte Dylan seinen Besen, wandte sich um und stutzte.